Pränatale Diagnostik
Neuer Bluttest –
Behinderte im Fadenkreuz
Ein neuer Test ermöglicht eine risikolose frühe
Diagnose der Trisomie 21 und wird nach Meinung von Experten dazu führen,
dass fast keine Kinder mehr mit Down-Syndrom geboren werden.
Neuer Bluttest
Der Test bestimmt aus einer einfachen Blutprobe
einer Schwangeren, ob ihr ungeborenes Kind eine Trisomie 21 hat. Bislang
war dafür eine Fruchtwasserpunktion nötig, die immer mit dem Risiko einer
Fehlgeburt einhergeht. Der neue Test ist dagegen risikolos und ist zudem
deutlich früher in der Schwangerschaft durchführbar. Gerade für ältere
Schwangere, die ein erhöhtes Risiko für Chromosomenstörungen wie die
Trisomie 21 haben, eine große Entlastung.
Experten erwarten, dass sich dieser Test sehr
schnell durchsetzen wird, mit massiven Folgen: Er hat das Potential, alle
Trisomie 21-Kinder aufzuspüren. Mittelfristig bedeutet das, dass bei uns
so gut wie keine Kinder mit Down-Syndrom mehr geboren werden, sagen
Experten. Denn 95 Prozent der entdeckten Kinder mit Down-Syndrom werden
bei uns abgetrieben.
Menschen mit Down-Syndrom und ihre Familien
empfinden diesen Test deshalb als direkten Angriff und sagen, dass hier
die Ausrottung einer bestimmten Gruppe von Behinderten betrieben werden
soll. Die Trisomie 21 ist dabei nur der Anfang. Tests auf weitere erblich
bedingte Erkrankungen sind bereits in Vorbereitung.
Die neue Technologie wird weitreichende ethische Diskussionen nach sich
ziehen. Betroffen sind dieses Mal nämlich alle werdenden Eltern, die eine
Pränataldiagnostik machen lassen - und nicht nur ein paar wenige Eltern,
wie bei der PID, über die in Deutschland viele Monate heftig diskutiert
wurde.
Den Test wird die Konstanzer Firma Lifecodexx in Kürze auf den Markt
bringen.
Neue Generation pränataler Diagnostik
Um herauszufinden ob ein ungeborenes Kind eine Trisomie 21 hat, das
Down-Syndrom, braucht man ein paar Zellen des Kindes. Um solche Zellen zu
bekommen, muss der Arzt bislang mit einer Nadel in die Fruchtblase oder
den Mutterkuchen stechen. Dadurch kann eine Fehlgeburt ausgelöst werden.
Deshalb überlegen sich viele Frauen zweimal, ob sie das riskieren wollen.
Der neue Bluttest hat dieses Risiko nicht, weil für
die Diagnose eine einfache Blutprobe der Schwangeren genügt. Über
Nabelschnur und Mutterkuchen kommen nämlich ständig ein paar wenige Zellen
des Kindes in den Blutkreislauf der Mutter. Dort zerfallen sie. So
gelangen ganz geringe Mengen DNA des Kindes, also Bruchstücke seines
Erbguts, in das Blut der Mutter. Diese Bruchstücke werden mit dem neuen
Bluttest aufgespürt, vervielfältigt und schließlich analysiert. Next
generation Sequenzierung heißt die Technologie, die das möglich macht. So
lässt sich bestimmen, ob zu viel genetisches Material vom Chromosom 21
vorliegt, ob also das Kind dieses Chromosom dreimal hat: eine Trisomie 21,
das Down-Syndrom.
- Als Down-Syndrom bezeichnet man ein Syndrom, das
durch eine spezielle Genommutation beim Menschen
hervorgerufen wird, bei der das gesamte 21. Chromosom oder Teile davon
dreifach vorliegen (Trisomie). Daher lautet eine weitere übliche
Bezeichnung Trisomie 21.
- Menschen mit Down-Syndrom weisen in der Regel typische
körperliche Merkmale auf und sind in ihren kognitiven
Fähigkeiten meist so beeinträchtigt, dass sie geistig
behindert sind.
- Die Verdreifachung des entsprechenden Erbgutes geschieht
durch einen unüblichen Verteilungsprozess während der Zellteilung
im Stadium der Meiose oder Mitose, die zum Entstehen von zusätzlichem
Erbmaterial des 21. Chromosoms führt. Diese führt in unterschiedlichem
Maße zu einer verzögerten kognitiven und körperlichen Entwicklung.
- Die verschiedenen Formen der Trisomie 21 entstehen spontan und
können nur dann im Sinne einer Erbkrankheit vererbt werden, wenn die
Mutter bereits selbst Down-Syndrom hat.
- Erstmals als wissenschaftlich eigenständiges, von anderen
Erkrankungen und Behinderungen abgrenzbares Syndrom beschrieben wurde
das Down-Syndrom 1866 vom englischen Neurologen und Apotheker
John Langdon-Down.
Neuer Blutest nur für "Risikoschwangere" gedacht
Die Firma Lifecodexx aus Konstanz will den neuen Bluttest in Kürze auf den
Markt bringen. Wera Hofmann, die medizinische Direktorin der Firma, ist
von der neuen Technologie begeistert:
Wera Hofmann: „Also die technischen Möglichkeiten
sind enorm. Wir werden aufgrund der Anwendung dieser next generation
Sequenzierung in der Lage sein eine große Vielzahl von genetischen
Erkrankungen nachzuweisen. Und man ist bereits ja jetzt in der Lage das
gesamte fetale Genom, die gesamte Erbinformation des Ungeborenen komplett
darzustellen.“
Den Anfang macht jetzt die Suche nach dem
Down-Syndrom. Rund 1200 Euro soll der neue Test kosten. Obwohl die
Durchführung bereits in der 10. Schwangerschaftswoche möglich ist, will
die Firma ihn erst ab der 12. Woche anbieten. Und erst einmal nur für
Risikoschwangere, also beispielsweise ältere Schwangere die ein erhöhtes
Risiko für eine Trisomie 21 haben, sagt Wera Hofmann.
Wera Hofmann: „Bislang konzentriert sich die Firma
Lifecodexx ganz gezielt wirklich nur auf risikoschwangere Frauen, d.h. es
muss eine medizinische Indikation durch den Arzt festgestellt worden sein
und nur so ist die Untersuchungsmethode auch sinnvoll.“
Einfacher Bluttest = mehr Abtreibungen?
Aber wird es dabei bleiben? Der Humangenetiker
Peter Wieacker von der Uniklinik Münster glaubt das nicht:
Prof. Peter Wieacker: „Ich bin mir fast sicher,
dass dieser Kontext, in dem das jetzt von der Firma angeboten wird, sich
im Laufe der Zeit ändern wird. Das läuft im Endeffekt auf eine Art
Screening auf das Down-Syndrom hinaus.“
Ein Screening, also die gezielte Suche nach dem
Down-Syndrom bei allen Schwangeren die das wollen - und nicht nur bei den
relativ wenigen sogenannten Risikoschwangeren.
So eine breite Anwendung wird gewaltige gesellschaftliche Folgen haben,
sagen Experten, wie der Humangenetiker Wolfram Henn, von der Uniklinik des
Saarlandes. Denn einmal entdeckt, werden bei uns 95 Prozent der Kinder mit
Trisomie 21 abgetrieben.
Prof. Wolfram Henn, Humangenetiker, Uniklinik des
Saarlandes: „Wenn der Test billig und komplikationsfrei angeboten wird,
dann wird er zur Routine der Schwangerschaft werden. Davon können wir
ausgehen und dann wird es so sein, dass nur noch sehr wenige Kinder mit
Down-Syndrom geboren werden, nämlich diejenigen der Eltern, und das werden
vermutlich eher wenige sein, die aus persönlichen, zum Beispiel religiösen
Gründen, diesen Test ablehnen. Und dann wird das Kind mit Down-Syndrom als
ein – in dicken Anführungszeichen- vermeidbares Übel angesehen werden, Und
was das für diese Menschen, und was das für ihre Familien bedeutet, das
kann man sich vorstellen.“
Neuer Bluttest - Angriff auf das Leben?
Wolfram Henn schätzt, dass etwa 50.000 Menschen mit
Down-Syndrom in Deutschland leben. Viele dieser Menschen und ihre Familien
empfinden den neuen Bluttest als Angriff auf das Lebensrecht von Menschen
mit Down-Syndrom. Gisela Höhne ist Regisseurin am Theater Rambazamba in
Berlin. Sie arbeitet seit Jahren mit Schauspielern, die das Down-Syndrom
haben.
Dr. Gisela Höhne, Regisseurin, Theater Rambazamba,
Berlin
„Das ist für mich eine der schlimmsten Situationen, die man sich
vorstellen kann, dass gerade diese Menschen, die so freundlich und auch so
offen anderen Menschen gegenüberkommen, dass die gerade nicht mehr
existieren sollen. Die Welt ist so viel ärmer ohne diese Menschen. Und ich
finde es wirklich eine richtige Tragödie, dass diese Menschen – ich sage
es wirklich so: Ausgerottet werden sollen.“
Entscheidend ist : Wie gehen wir mit diesem Test um?
Die Aufregung ist groß. Aber verhindern lässt sich
der neue Test ohnehin nicht. Es gibt keine Zulassung wie bei Arzneimitteln
für solche Medizinprodukte. Sie werden im Grunde einfach vom Hersteller
auf den Markt gebracht. Die Frage ist also nicht ob der Test kommt –
sondern wie wir damit umgehen.
Darauf weist Jochen Taupitz hin. Er ist Jurist und Mitglied im Nationalen
Ethikrat.
Prof. Jochen Taupitz, Jurist, Uni Mannheim,
Mitglied im Nationalen Ethikrat
„Der Test muss auf jeden Fall eingebettet sein in eine ordnungsgemäße,
breit gefächerte Aufklärung der Frau, der Schwangeren, dass sie weiß,
welche Konsequenzen ein entsprechender medizinischer Befund haben wird.
Und die Frau muss insbesondere darüber informiert werden, dass das
Down-Syndrom in ganz unterschiedlichen Schweregraden auftreten kann und
dass die Diagnose Down-Syndrom keineswegs bedeutet, dass es für sie
unzumutbar, per se unzumutbar ist, ein solches Kind aufzuziehen.“
Die Frage nach den Genen entscheidet über
Leben und Tod
Eine solche Beratung ist gesetzlich bereits vorgeschrieben, vor der
Durchführung eines solchen genetischen Tests. In der Praxis aber, muss nun
um so mehr sichergestellt werden, dass diese Beratung nicht nur ein
besseres Verkaufsgespräch ist, nach dem Motto: Sie wollen doch sicher
wissen, ob mit dem Kind alles in Ordnung ist. Das ist Christiane Woopen
sehr wichtig. Sie ist Ärztin und ebenfalls Mitglied im Nationalen
Ethikrat. Die neue Technologie wirft für sie ganz grundsätzlich Fragen
auf, zumal die Suche nach der Trisomie 21 ja nur der Anfang ist. Schon
bald dürften eine ganze Reihe anderer genetischer Abweichungen genauso ins
Visier geraten.
Prof. Christiane Woopen, Medizinethikerin,
Uniklinik Köln, Mitglied im Nationalen Ethikrat
„Also normalerweis haben wir ja den Grundsatz, dass man zwar über sich
selber alles wissen darf, aber nicht über andere, schon gar nicht
Eingriffe in einen anderen tätigen darf, um etwas über seine genetische
Ausstattung zu wissen. Und so muss man das in der Schwangerschaft auch
fragen: Welches Recht hat die Frau tatsächlich die genetische Ausstattung
des Ungeborenen zu kennen, und wenn dann in welchem Umfang?“
Wenn es um ungeborene Kinder geht, wird das Wissen über die Gene schnell
zu einer Frage von Leben oder Tod. Und die große Frage, die sich nun uns
als Gesellschaft, aber auch jedem Paar werdender Eltern stellt lautet: Wo
ist die Grenze?