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Auschwitzvergleich als Beleidigung:
EGMR
schlägt sich auf Seite der Meinungsfreiheit
Vergleicht man den ärztlich assistierten
Schwangerschaftsabbruch mit dem Holocaust, verletzt man das allgemeine
Persönlichkeitsrecht des namentlich benannten, ausführenden Mediziners.
Zieht man zwischen NS-Regime und Abtreibung jedoch lediglich eine
Parallele, scheint dies noch von der Meinungsfreiheit umfasst zu sein.
Zumindest könnte man so das gestern veröffentlichte Urteil des EGMR in der
Rechtssache Annen
vs. Germany verstehen.
Herr Annen ist den Richtern in Straßburg bereits bestens
bekannt. Als „christlicher
Lebensrechtler“, Aktivist und Betreiber der
Internetseite „Babycaust.de“
hat er sich dem lebenslangen Kampf gegen die Abtreibung verschrieben.
Die scheinbar endlose
Geschichte des Klaus Günter Annen beginnt
bereits 1997. In diesem Jahr verteilte Herr Annen vor einem Klinikum
Flugblätter mit der These „damals:
Holocaust – heute: Babycaust“ und
rief dazu auf, den hier angeblich stattfindenden „Kinder-Mord im
Mutterschoß“ zu beenden. Als wäre diese Aussage nicht bereits prekär
genug, wurde ein Gynäkologe auf der Vorderseite des Flyers als
„Tötungs-Spezialist für ungeborene Kinder“ bezeichnet. Kein Wunder also,
dass Annen von dem betroffenen Arzt und der Klinik auf Unterlassung und
wegen Beleidigung verklagt wurde.
Die Annen-Saga zog sich über viele Jahre hin und
beschäftigte wiederholt auch den EGMR, der 2011 feststellte,
dass die Auswirkungen einer Meinungsäußerung auf das Allgemeine
Persönlichkeitsrecht grundsätzlich nicht von ihrem historischen Kontext
gelöst werden können. Aus diesem Grund verletze der Vergleich von
Holocaust und Abtreibung mit Blick auf die deutsche Geschichte in
besonders schwerem Maße das Persönlichkeitsrecht des betroffenen
Gynäkologen. Dass die deutschen Gerichte Annen wegen Beleidigung
verurteilt haben, sei daher mit Art. 10 EMRK vereinbar (Rn. 48 f.).
Herr Annen kämpft bis heute unermüdlich
gegen die Abtreibung weiter; er scheint jedoch mit tatkräftiger
Unterstützung des EGMR mit der Zeit dazu gelernt zu haben. Die These „Damals:
Holocaust – Heute: Babycaust“
formuliert er 2005 auf einem anderen Flyer spitzfindiger: „In
der Tagesklinik Dr. M/ Dr. R. […] werden rechtswidrige Abtreibungen
durchgeführt.“ und „Die Ermordung
der Menschen in Auschwitz war rechtswidrig, aber der moralisch verkommene
NS-Staat hatte den Mord an den unschuldigen Menschen erlaubt und nicht
unter Strafe gestellt.“ (Rn. 8 ff.)
Wer sich jetzt fragt, wo denn genau der Unterschied zu dem
eben erläuterten Sachverhalt liegt, findet den Teufel wohl im Detail.
Der EGMR versteht
die auf dem jüngsten Flyer vorgenommene Gegenüberstellung von Ärzten, die
Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, und NS-Regime als Versuch, auf ein
Auseinanderfallen von Recht und Moral aufmerksam zu machen. Nach dieser
Auslegung ziehe Herr Annen bei der rechtlichen Bewertung des
Schwangerschaftsabbruchs den Holocaust lediglich als historisches Beispiel
eines rechtswidrigen, aber im Dritten Reich straflosen Handelns heran (Rn.
63). Denn auch der Schwangerschaftsabbruch ist nach § 218a StGB zwar
straflos, aber dennoch rechtswidrig (Rn. 17).
Diese Erkenntnis der Straßburger Richter lässt jedoch Raum
für Kritik. Ohne Zweifel ist der Schwangerschaftsabbruch ein
gesellschaftlich kontrovers diskutiertes Thema. Soll das aber bedeuten,
dass man in seinem Kampf gegen die Abtreibung beliebig Gynäkologen mit dem
Holocaust in Verbindung bringen und ihre Arbeit dadurch „dämonisieren“
kann? Mit einem klaren Nein beantworten diese Frage die Richterinnen
Yudkivska und Jäderblom in ihrem zum Urteil ergangenen Minderheitsvotum.
Denn das Persönlichkeitsrecht der von Herr Annen willkürlich
herausgepickten Mediziner könne ihrer Ansicht nach nicht weniger durch das
Gegenüberstellen von Holocaust und Abtreibung als durch den direkten
Vergleich von „ damals Holocaust- heute Babycaust“
betroffen sein.
hier Entscheidungen des EGMR
Hier zum Original auf "Verfassungsblog)
hier pdf
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