NIE WIEDER ?

22. März 1941

 384 Behinderte werden vom St. Paulus Stift Neuötting abgeholt und nach Eglfing/Haar bei München

 zum Vergasen gebracht.

   
Febr. 2007

 Frau Anneliese Wienhart wird vom St. Paulus Stift Neuötting abgeholt und zum Altenheim

 St. Klara in Altötting gebracht, wo sie durch Entfernen der PEG (Entzug der Nahrung und     Flüssigkeit) verhungerte.

 

  1941:   Jeder ahnte...!        

      2007:   Jeder weiß...!!

 

„Es hat mir das Herz zerrissen“
1941 werden die Behinderten vom Paulusstift abtransportiert

 - Franziskushaus und Heilig-Kreuz Kloster von der Wehrmacht beschlagnahmt
von Miriam Haderer


Groß ist die Anzahl derer, die täglich in Neuötting am St. Paulusstift vorübergehen, aber nur wenigen ist bewusst, was sich während des Zweiten Weltkrieges hinter den Häuserfronten beiderseits der Straße abgespielt hat. Welch menschliches Elend den Bewohnern mit körperlicher oder geistiger Behinderung widerfahren ist.
Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges kam es im November 1940 zu enormen Veränderungen im Paulusstift: Der Beschluss des Landesfürsorgeverbandes setzte
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185 Behinderte zum Abtransport bestimmt
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fest, dass 185 Behinderte in die Heil- und Pflegeanstalt nach Eglfing/Haar bei München gebracht werden mussten. Die Schwestern erahnten das grausame Schicksal, das den Kranken dort widerfahren wird. Deshalb versuchten sie, möglichst viele Eltern zu informieren, damit sie ihre Kinder zurück nach Hause holen. Wenn aber die Landesfürsorge den Aufenthalt im Paulusstift zahlte, war der Bewohner unweigerlich zum Abtransport verurteilt.
Zwei Tage im März 1941 brachten eine dramatische Wendung für alle: Der damalige Direktor der Anstalt Haar kam am 21. und 22. März mit einer Kommission zur Visite, um im Zuge der „Ausmerzung lebensunwerten Lebens“ - so die propagandistischen Nazi-Parolen - die Kranken auszuwählen, deren Behinderung sehr schwerwiegend war. „Ich habe meinen Kranken vorher immer gesagt, sie sollen sich nicht fürchten und die treffenden Antworten geben, dann passiert ihnen auch nichts“, berichtet die heute 92-jährige Schwester Editha, die momentan im Herxheimer Mutterhaus lebt und sich damals aufopfernd um ihre Kranken kümmerte. Durch ihre Unterstützung haben es mehrere Patienten geschafft, die Kommission mit ausgefeilten Antworten zu überlisten.
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Kluge Antworten retteten Behinderte
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„Es gab viele Patienten, die psychisch krank waren, aber geistig keine Probleme hatten und so mit ihren klugen Antworten ihr eigenes Leben gerettet haben“, erklärt Sr. Editha.
Jeder ahnte damals was mit den Kranken passieren würde - nur auszusprechen wagte es niemand, sagt sie. Dafür spiegelte sich Angst und Unsicherheit in den Gesichtern der Schwestern wieder.
Jene Tage im März sollten die schlimmsten ihres Ordenslebens werden. Vor allem der 22. März 1941 blieb allen in Erinnerung. Die Schwestern waren gerade zusammen mit den Patienten in der Kapelle um zu beten, als die ersten großen Busse kamen, um die Kranken abzuholen. „Wie 384 Behinderte in die Busse gebracht wurden, hat mir das Herz zerrissen. Sie haben geweint, weil sie im Unterbewusstsein gespürt haben, dass etwas Schreckliches passiert“, erinnert sich die Schwester wehmütig.
Auch der Neuöttinger Josef Staudinger, dessen Cousine damals Küchenschwester im Paulusstift war, konnte den Abtransport der Behinderten beobachten. „Ich habe von unserem Hof aus gesehen, wie die Busse vorgefahren sind. Waren es Kastenwägen mit kleinen Fenstern, dann wurden die Kranken schon während der Fahrt vergast. Waren es normale Busse, dann brachte man sie bis nach Haar, erinnert sich Staudinger. 14 Tage später kamen im Paulusstift etliche Pakete mit persönlichen Gegenständen der Kranken an, beiliegend eine Todesanzeige. „Auf den Karten standen fingierte Todesursachen wie Angina, Lungenentzündung oder Herztod. Man wusste aber damals schon, dass man genau diese Krankheiten nicht nachweisen kann“, berichtet Staudinger.
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Mädchen flieht vor Transport in Basilika

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Aber nicht alle Patienten mussten dieses Elend erfahren. „Ein Mädchen konnte sich retten, indem sie nach Altötting in die Basilika geflohen ist und sich dort solange im Beichtstuhl versteckt hat, bis alles vorbei war“, erzählte Sr. Editha und muss dabei schmunzeln. Verblieben sind im Paulusstift am Ende rund 50 Behinderte, die fortan bei den täglich anfallenden Arbeiten sowohl in der Küche oder im Garten mithalfen.
Nur kurze Zeit kehrte im Paulusstift Ruhe ein, denn schon am 1. April 1941 wurden die Räume für das Kinderlandverschickungslager beschlagnahmt. 250 schulpflichtige Mädchen und vier Lehrerinnen aus Westfalen, Duisburg und anderen Städten kamen nach Neuötting, denn Westfalen wurde zu diesem Zeitpunkt bereits angegriffen. Von nun an dienten die Räume als Schlafsäle und Klassenzimmer.
Ein ähnliches Schicksal ist den Schwestern im Heilig Kreuz Kloster in Altötting widerfahren: Am 24. März 1941 eilte die Gestapo ins Haus und bestimmte, dass am 1. April das Kloster aufgehoben werde. Die Schwestern müssten fort und dürften nur noch in der Landwirtschaft bleiben. Auf schnellstem Wege brachten die Schwestern ihre wenigen Habseligkeiten bei Angehörigen oder auf dem Lande, zum Beispiel auf dem Heuboden, in Sicherheit. Bevor auch dieses Kloster zum Lazarett erklärt wurde, gewährten die Heilig-Kreuz Schwestern der Hamburger Hitler-Jugend und ihren Betreuern Unterkunft.
Das Paulusstift Neuötting wurde 1941 von der Wehrmacht beschlagnahmt und ebenfalls als Lazarett verwendet, im Januar 1942 haben die Beauftragten mit der Räumung des Hauptbaus begonnen und rund 6000 Verwundete fanden hier im Laufe der Zeit Unterkunft und Pflege. „Unsere Behinderten kamen daraufhin ins Haus St. Maria, wo sie von Stabsarzt Dr. Jäger gut versorgt wurden“, berichtete die 92-jährige Schwester. Der Speisesaal wurde mit 200 Soldaten belegt, die von der damals junge Stations- und Röntgenschwester umsorgt wurden. „Bevor die Soldaten aufgenommen wurden, mussten sie erst richtig gut gebadet und entlaust werden. Danach kamen sie nur mit Decken umhüllt auf die Station. Eigentlich waren alle froh, hier zu sein, auch wenn sie noch so schwere Verletzungen hatten. Denn sie mussten wenigstens nicht mehr zurück in den Krieg“, erzählt Sr. Editha.
Das Hauptlazarett befand sich jedoch im Altöttinger Franziskushaus. Schon im Februar 1942 wurde das Exerzitienhaus für verwundete und kranke Soldaten beschlagnahmt und anschließend umgebaut. Denn eine Dampfheizung, Waschbecken, Entlausungsraum, Brauseraum und Verbandszimmer wurden benötigt. Oberstabsarzt Müller leitete das Lazarett bis September 1942, sein Nachfolger wurde Oberstabsarzt
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Franziskushaus als Lazarett
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Dr. Thyrhoff, der bis zur Auflösung des Lazaretts blieb. Zahlreiche Lazarettzüge wurden aufgenommen, meist Russland- und Afrikakämpfer mit inneren Krankheiten, Tropengeschwüren und einigen schweren Fällen von Typhus und Diphtherie. Die stark verwundeten Soldaten wurden ins Krankenhaus Altötting gebracht, das dem Lazarett 50 Betten zur Verfügung stellte.
Die Hauptsache für die meisten Soldaten war, nicht mehr zurück in den Krieg zu müssen. „Wir hatten sogar mal einen ,Kriegsblinden‘, der ist allerdings im Hof immer mit dem Fahrrad rumgefahren ist. Dadurch wurde seine Tarnung aufgedeckt und er musste uns verlassen“, erinnert sich Ella Grieb, die damalige Sekretärin des Oberstabsarztes, schmunzelnd.
Sobald die Lazarettzüge Alt-/Neuötting erreichten, oder Fliegeralarm ausgelöst wurde, mussten alle Schwestern sofort parat stehen. „Bei Fliegeralarm wurden die Verwundeten möglichst schnell in den Keller auf der anderen Straßenseite des Paulusstiftes getragen, weil diese Räume tiefer unter der Erde liegen“, so Sr. Editha. Der Keller auf der gegenüberliegenden Seite des Stifts wurde durch einen Gang unter der Burghauserstraße erreicht, um vor Angriffen geschützt zu sein. Diese Räume waren alle optimal ausgebaut, um auch hier unten Operationen durchführen zu können.
Im Juli 1945, nach Kriegsende, wurden schließlich alle Lazarette aufgelöst. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden im Paulusstift insgesamt 6334 Soldaten von den vielen Sanitäter, Hilfsschwestern und Klosterschwestern aufopfernd gepflegt.
Vielen Soldaten blieben auch später mit den Klöstern und den jeweiligen Städten über Jahre hinweg in engem Kontakt: Viele kehrten zurück, teilweise um ihre Erinnerung aufleben zu lassen oder aber um ihren Familien zu zeigen, wo sie während des Krieges als Verwundete versorgt wurden. Und manch einer ließ sich nach Kriegsende im Altöttinger Raum nieder - und das nicht nur aus dem Grund, weil eine Rückkehr in die Heimat nicht mehr möglich war.

 

Quelle: pnp 02.04.2005