„Es hat mir das Herz
zerrissen“
1941 werden die Behinderten vom Paulusstift
abtransportiert
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Franziskushaus und Heilig-Kreuz Kloster von der Wehrmacht beschlagnahmt
von Miriam Haderer
Groß ist die Anzahl derer, die täglich in
Neuötting am St. Paulusstift vorübergehen, aber nur wenigen ist
bewusst, was sich während des Zweiten Weltkrieges hinter den Häuserfronten
beiderseits der Straße abgespielt hat. Welch menschliches Elend den
Bewohnern mit körperlicher oder geistiger Behinderung widerfahren ist.
Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges kam es im November 1940 zu enormen
Veränderungen im Paulusstift: Der Beschluss des Landesfürsorgeverbandes
setzte
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185 Behinderte zum Abtransport bestimmt
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fest, dass 185 Behinderte in die Heil- und Pflegeanstalt nach Eglfing/Haar
bei München gebracht werden mussten. Die Schwestern erahnten das grausame
Schicksal, das den Kranken dort widerfahren wird. Deshalb versuchten sie,
möglichst viele Eltern zu informieren, damit sie ihre Kinder zurück nach
Hause holen. Wenn aber die Landesfürsorge den Aufenthalt im Paulusstift
zahlte, war der Bewohner unweigerlich zum Abtransport verurteilt.
Zwei Tage im März 1941 brachten eine dramatische Wendung für alle: Der
damalige Direktor der Anstalt Haar kam am 21. und 22. März mit einer
Kommission zur Visite, um im Zuge der „Ausmerzung
lebensunwerten Lebens“ - so die propagandistischen Nazi-Parolen
- die Kranken auszuwählen, deren Behinderung sehr schwerwiegend war. „Ich
habe meinen Kranken vorher immer gesagt, sie sollen sich nicht fürchten
und die treffenden Antworten geben, dann passiert ihnen auch nichts“,
berichtet die heute 92-jährige Schwester Editha, die momentan im
Herxheimer Mutterhaus lebt und sich damals aufopfernd um ihre Kranken
kümmerte. Durch ihre Unterstützung haben es mehrere Patienten geschafft,
die Kommission mit ausgefeilten Antworten zu überlisten.
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Kluge Antworten retteten Behinderte
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„Es gab viele Patienten, die psychisch krank waren, aber geistig keine
Probleme hatten und so mit ihren klugen Antworten ihr eigenes Leben
gerettet haben“, erklärt Sr. Editha. Jeder
ahnte damals was mit den Kranken passieren würde - nur auszusprechen wagte
es niemand, sagt sie. Dafür spiegelte sich Angst
und Unsicherheit in den Gesichtern der Schwestern wieder.
Jene Tage im März sollten die schlimmsten ihres Ordenslebens werden. Vor
allem der 22. März 1941 blieb allen in
Erinnerung. Die Schwestern waren gerade zusammen mit den Patienten in der
Kapelle um zu beten, als die ersten großen Busse kamen, um die Kranken
abzuholen. „Wie 384 Behinderte in die Busse
gebracht wurden, hat mir das Herz zerrissen. Sie haben geweint, weil sie
im Unterbewusstsein gespürt haben, dass etwas Schreckliches passiert“,
erinnert sich die Schwester wehmütig.
Auch der Neuöttinger Josef Staudinger, dessen Cousine damals
Küchenschwester im Paulusstift war, konnte den Abtransport der Behinderten
beobachten. „Ich habe von unserem Hof aus
gesehen, wie die Busse vorgefahren sind. Waren es Kastenwägen mit kleinen
Fenstern, dann wurden die Kranken schon während der Fahrt vergast. Waren
es normale Busse, dann brachte man sie bis nach Haar“,
erinnert sich Staudinger. 14 Tage später kamen im Paulusstift etliche
Pakete mit persönlichen Gegenständen der Kranken an, beiliegend eine
Todesanzeige. „Auf den Karten standen
fingierte Todesursachen wie Angina, Lungenentzündung oder Herztod. Man
wusste aber damals schon, dass man genau diese Krankheiten nicht
nachweisen kann“, berichtet Staudinger.
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Mädchen flieht vor Transport in Basilika
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Aber nicht alle Patienten mussten dieses Elend erfahren. „Ein Mädchen
konnte sich retten, indem sie nach Altötting in die Basilika geflohen ist
und sich dort solange im Beichtstuhl versteckt hat, bis alles vorbei war“,
erzählte Sr. Editha und muss dabei schmunzeln. Verblieben sind im
Paulusstift am Ende rund 50 Behinderte, die fortan bei den täglich
anfallenden Arbeiten sowohl in der Küche oder im Garten mithalfen.
Nur kurze Zeit kehrte im Paulusstift Ruhe ein, denn schon am 1. April 1941
wurden die Räume für das Kinderlandverschickungslager beschlagnahmt. 250
schulpflichtige Mädchen und vier Lehrerinnen aus Westfalen, Duisburg und
anderen Städten kamen nach Neuötting, denn Westfalen wurde zu diesem
Zeitpunkt bereits angegriffen. Von nun an dienten die Räume als Schlafsäle
und Klassenzimmer.
Ein ähnliches Schicksal ist den Schwestern im Heilig Kreuz Kloster in
Altötting widerfahren: Am 24. März 1941 eilte die Gestapo ins Haus und
bestimmte, dass am 1. April das Kloster aufgehoben werde. Die Schwestern
müssten fort und dürften nur noch in der Landwirtschaft bleiben. Auf
schnellstem Wege brachten die Schwestern ihre wenigen Habseligkeiten bei
Angehörigen oder auf dem Lande, zum Beispiel auf dem Heuboden, in
Sicherheit. Bevor auch dieses Kloster zum Lazarett erklärt wurde,
gewährten die Heilig-Kreuz Schwestern der Hamburger Hitler-Jugend und
ihren Betreuern Unterkunft.
Das Paulusstift Neuötting wurde 1941 von der Wehrmacht beschlagnahmt und
ebenfalls als Lazarett verwendet, im Januar 1942 haben die Beauftragten
mit der Räumung des Hauptbaus begonnen und rund 6000 Verwundete fanden
hier im Laufe der Zeit Unterkunft und Pflege. „Unsere Behinderten kamen
daraufhin ins Haus St. Maria, wo sie von Stabsarzt Dr. Jäger gut versorgt
wurden“, berichtete die 92-jährige Schwester. Der Speisesaal wurde mit 200
Soldaten belegt, die von der damals junge Stations- und Röntgenschwester
umsorgt wurden. „Bevor die Soldaten aufgenommen wurden, mussten sie erst
richtig gut gebadet und entlaust werden. Danach kamen sie nur mit Decken
umhüllt auf die Station. Eigentlich waren alle froh, hier zu sein, auch
wenn sie noch so schwere Verletzungen hatten. Denn sie mussten wenigstens
nicht mehr zurück in den Krieg“, erzählt Sr. Editha.
Das Hauptlazarett befand sich jedoch im Altöttinger Franziskushaus. Schon
im Februar 1942 wurde das Exerzitienhaus für verwundete und kranke
Soldaten beschlagnahmt und anschließend umgebaut. Denn eine Dampfheizung,
Waschbecken, Entlausungsraum, Brauseraum und Verbandszimmer wurden
benötigt. Oberstabsarzt Müller leitete das Lazarett bis September 1942,
sein Nachfolger wurde Oberstabsarzt
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Franziskushaus als Lazarett
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Dr. Thyrhoff, der bis zur Auflösung des Lazaretts blieb. Zahlreiche
Lazarettzüge wurden aufgenommen, meist Russland- und Afrikakämpfer mit
inneren Krankheiten, Tropengeschwüren und einigen schweren Fällen von
Typhus und Diphtherie. Die stark verwundeten Soldaten wurden ins
Krankenhaus Altötting gebracht, das dem Lazarett 50 Betten zur Verfügung
stellte.
Die Hauptsache für die meisten Soldaten war, nicht mehr zurück in den
Krieg zu müssen. „Wir hatten sogar mal einen ,Kriegsblinden‘, der ist
allerdings im Hof immer mit dem Fahrrad rumgefahren ist. Dadurch wurde
seine Tarnung aufgedeckt und er musste uns verlassen“, erinnert sich Ella
Grieb, die damalige Sekretärin des Oberstabsarztes, schmunzelnd.
Sobald die Lazarettzüge Alt-/Neuötting erreichten, oder Fliegeralarm
ausgelöst wurde, mussten alle Schwestern sofort parat stehen. „Bei
Fliegeralarm wurden die Verwundeten möglichst schnell in den Keller auf
der anderen Straßenseite des Paulusstiftes getragen, weil diese Räume
tiefer unter der Erde liegen“, so Sr. Editha. Der Keller auf der
gegenüberliegenden Seite des Stifts wurde durch einen Gang unter der
Burghauserstraße erreicht, um vor Angriffen geschützt zu sein. Diese Räume
waren alle optimal ausgebaut, um auch hier unten Operationen durchführen
zu können.
Im Juli 1945, nach Kriegsende, wurden schließlich alle Lazarette
aufgelöst. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden im Paulusstift insgesamt 6334
Soldaten von den vielen Sanitäter, Hilfsschwestern und Klosterschwestern
aufopfernd gepflegt.
Vielen Soldaten blieben auch später mit den Klöstern und den jeweiligen
Städten über Jahre hinweg in engem Kontakt: Viele kehrten zurück,
teilweise um ihre Erinnerung aufleben zu lassen oder aber um ihren
Familien zu zeigen, wo sie während des Krieges als Verwundete versorgt
wurden. Und manch einer ließ sich nach Kriegsende im Altöttinger Raum
nieder - und das nicht nur aus dem Grund, weil eine Rückkehr in die Heimat
nicht mehr möglich war.
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