Euthanasie – Mord im Namen
von Forschung und
Rassenlehre
Sie wurden vergast, vergiftet oder man ließ sie verhungern:
Von 1939 bis 1945 fielen 250 000 bis 300 000 psychisch,
geistig und körperlich kranke Menschen der Euthanasie zum
Opfer.
Lange Zeit haben sie zu ihrer Rolle bei der NS-Euthanasie
geschwiegen. Geschwiegen zu den Zwangssterilisationen und
dem Hunderttausendfachen Mord an Behinderten und Kranken.
Inzwischen hat sich die Deutsche Gesellschaft für
Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) der
Mitverantwortung dieser Taten ihrer Vorgängerorganisation
gestellt. Im Auftrag der Gesellschaft haben Wissenschaftler
herausgefunden: Ärzte und Psychiater haben die NS-Euthanasie
nicht nur vorangetrieben, sondern sie auch skrupellos
umgesetzt.
Sie galten als „Ballastexistenzen“, als „lebensunwertes
Leben“. Sie wurden vergast, vergiftet durch eine Überdosis
von Medikamenten oder man ließ sie systematisch verhungern.
Von 1939 bis 1945 fielen im gesamten deutschen
Herrschaftsgebiet circa 250 000 bis 300 000 psychisch,
geistig und körperlich kranke Menschen der sogenannten
Euthanasie zum Opfer. Auf Veranlassung von Ärzten, die aus
Überzeugung handelten. Die kein schlechtes Gewissen hatten,
sondern auch ohne Nazi-Befehle zu Mördern wurden. Ganz im
Gegenteil: „Die Idee der Tötung von lebensunwerten Leben
stammte von Ärzten und nicht von Politikern“, sagt der
Medizinhistoriker Volker Roelcke von der Universität Gießen.
Mediziner als willfährige
Handlanger des Regimes
Ärzte propagierten diese Idee massiv sogar schon lange vor
1933. Ärzte, die am Ende auch nicht davor zurückschreckten
sich an Menschenversuchen zu beteiligten. Die ihre Chance
witterten, um endlich das machen zu können, was sie schon
immer machen wollten. Die Nationalsozialisten öffneten ihnen
dazu die Türen. Und sie sorgten mit dem „Gesetz zur
Verhütung erbkranken Nachwuchses“ auch dafür, dass etwa 360
000 bis 400 000 Menschen von 1934 bis1945 im Deutschen Reich
zwangssterilisiert wurden.
2010 hat die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie,
Psychotherapie und Nervenheilkunde eine unabhängige und
internationale „Kommission zur Aufarbeitung der Geschichte
der DGPPN“, ins Leben gerufen unter Vorsitz von Volker
Roelcke. Deren Forschungsergebnisse wurden Ende 2012 beim
Jahreskongress der Gesellschaft in Berlin vorgestellt. Es
folgt im kommenden Herbst noch eine weitere Publikation des
Bielefelder Historikers Hans-Walter Schmuhl, der im Auftrag
der Kommission die Geschichte der psychiatrischen
Fachgesellschaft im Nationalsozialismus untersucht hat.
Ärzte nutzten die unbegrenzten
Möglichkeiten im Dritten Reich
Sein Fazit: „Die neueren Forschungen sind schmerzhafter,
weil sie an die Substanz gehen und doch auch zeigen, wie in
bestimmten Vorstellungen über das Versorgungssystem von
Menschen mit psychischen Erkrankungen und geistigen
Behinderungen sich Dinge eingeschlichen hatten, die sich
dann ganz gut mit der Ideologie der Nationalsozialisten
verbinden ließen.“ Es sei ein Irrglaube zu denken, Ärzte
bzw. Psychiater wären von den Nazis gezwungen worden, den
Mord an psychisch Kranken und Behinderten zu begehen. Sie
seien keineswegs „von einem diktatorischen System getrieben
worden“, sondern „eher davon, die unbegrenzten Möglichkeiten
in diesem neuen „Dritten Reich“ ausnutzen“, sagt Schmuhl.
Töten aus Überzeugung
Viele töteten aus
Überzeugung, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Um das
zu verstehen, hat sich der Historiker Hans-Walter Schmuhl
die Berichte von sogenannten T4-Gutachtern angesehen. Die
Abkürzung T4 geht auf die Bürozentrale der Euthanasie-Aktion
zurück in der Tiergartenstraße 4 in Berlin. Von 1939 bis
1941 erheben sich ausgewählte Ärzte bzw. Psychiater zu
Richtern über Leben und Tod von psychisch Kranken und
Behinderten, die sich in Anstaltsbehandlung befinden –
allein anhand von Krankenakten.
Sie teilen die
Anstaltsinsassen in drei Gruppen ein. Diejenigen, die
therapierbar sind, sollten behandelt werden. Die Menschen,
die nur noch arbeitsfähig sind, „soll man therapieren so gut
es geht und sie zwangssterilisieren. Und diejenigen, die
nicht mehr arbeiten können und so für die Gesellschaft nicht
mehr nützlich sind, sollten getötet werden.“ Für Schmuhl ist
gerade diese enge Verschränkung von Heilen und Vernichten
der Schlüssel, um eine Idee davon zu bekommen, weshalb sogar
Ärzte, die lange Zeit für eine humane Psychiatrie eintraten,
nun zu Mördern wurden.
Beteiligung am Unrecht aus
Karrieregründen
Wie unterschiedlich die Motive der zahlreich beteiligten
Psychiater waren, zeigen unter anderem zwei Beispiele, die
der Historiker Hans Walter-Schmuhl im Auftrag der DGGPN
untersucht hat. Da ist zum einen der Psychiater Friedrich
Mauz, bis 1939 Privatdozent an der Universität Marburg, dann
Professor an der Universität Königsberg. Lange Zeit
publiziert er erfolglos, wird in der Wissenschaft kaum
beachtet. Um doch noch Professor zu werden, dient er sich
den neuen Machthabern an, obwohl ihn die NS-Erb- und
Gesundheitspolitik kaum interessiert. Als die
Nationalsozialisten ausgewählte Psychiater fragen, ob sie
als T4- Gutachter fungieren wollen, willigt Mauz ein.
Während Mauz also nach beruflichem Erfolg strebt und daher
zustimmt, lässt sich im zweiten Beispiel – Valentin
Faltlhauser – kaum nachvollziehen, weshalb er T4 Gutachter
wird und nun über den Tod von psychisch Kranken und
Behinderten zu entscheiden hat. Faltlhauser kommt aus der
Reform-Psychiatrie der 1920er-Jahre, einer Psychiatrie, die
die Mauern der Anstalten durchlässiger machen und Kranke
wieder in die Gesellschaft eingliedern will. „Da war er
eigentlich der führende Mann“, sagt der Historiker
Hans-Walter Schmuhl.
Ökonomische Rationalität eines Tötungsprogramms
Faltlhauser
setzt sich vehement dafür ein, die Anstalts-Psychiatrie zu
reformieren. Gleichzeitig lässt er als Direktor der Heil-
und Pflegeanstalten in Kaufbeuren und Irsee behinderte
Menschen gezielt verhungern. Auf den ersten Blick erscheint
es kaum nachvollziehbar, weshalb er auf der einen Seite sich
für eine menschenfreundliche Psychiatrie einsetzt und auf
der anderen Seite Menschen skrupellos tötet. „Das sind zwei
Seiten ein und desselben Mannes“, sagt der Historiker
Schmuhl, „die man nur schwer zusammenbringt und wo man ohne
diese Gedankenfigur des Heilens und Vernichtens gar nicht
klar kommt. Das heißt, geltende ethische Maßstäbe zählen
nicht mehr, sondern es gilt die Devise: Wem wir helfen
können, dem helfen wir. Das tun wir mit aller Kraft. Und um
die anderen kümmern wir uns nicht mehr. Am Besten ist es,
wenn sie sozialverträglich ums Leben gebracht werden.“ Eine
makabre Sichtweise, die damals unter vielen Psychiatern
verbreitet war und noch einen anderen Effekt verfolgte.
„Dieses Tötungsprogramm“, sagt der Medizinhistoriker Volker
Roelcke, „hatte auch eine enorme ökonomische Rationalität.“
So wurde genau berechnet, was psychische Kranke und
Behinderte dem deutschen Reich kosteten. Und Menschen, die
weder therapierbar noch für eine Arbeit einsetzbar waren,
kosteten unnötig Geld. Es bestand kein Grund sie am Leben zu
lassen.
Mit Zwangskastration gegen „Entartung“
Die Wurzeln dieses Denkens gehen weit zurück. Schon um 1900
wird in Deutschland und auch in der Schweiz darüber
diskutiert, ob es nicht sinnvoll sei, dass erbkranke
Menschen sich nicht mehr vermehren sollten. Das fordert etwa
der Psychiater und Rassenhygieniker Ernst Rüdin schon 1903.
Sein Lehrer, Auguste Forel, von 1879 bis 1898 Professor für
Psychiatrie an der Universität Zürich und Direktor der
Psychiatrischen Universitätsklinik, veranlasste an Patienten
und Patientinnen die ersten Kastrationen und Sterilisationen
aus eugenischen Grünen in Europa. So wollte man schon damals
der „Degeneration“, der „Entartung“ der Menschheit“
entgegenwirken.
Rüdin tritt in die
Fußstapfen von Forel und prägt maßgeblich die neu
entstehende Bewegung der sogenannten Rassenhygiene.
Gleichzeitig genießt der Schweizer Psychiater – das
belegen die neuen Forschungen des Medizin-Historikers
Volker Roelcke eindeutig – im In-und Ausland einen sehr
guten Ruf. Rüdin wird 1917 Abteilungsleiter in der
Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München.
Einer Forschungsinstitution, die 1924 zu einem Institut
der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft wird. Rüdins Abteilung
gilt international als Mekka der psychiatrischen Genetik
und der Epidemiologie, untersucht also inwieweit
psychische Krankheiten vererbt werden.
„Gesetz zur Verhütung
erbkranken Nachwuchses“
Wie er plädieren auch
Genetiker vor allem in den skandinavischen Ländern für
Zwangssterilisationen von Erbkranken. Rüdin geht noch
einen Schritt weiter. Er fordert beispielsweise auch, dass
Alkoholiker sterilisiert werden. Und auch er betont, es
sei zu überprüfen, ob es sinnvoll sei, dass der Staat
Behinderte finanziere. Gleichzeitig war es Rüdins
Motivation, sagt der Medizinhistoriker Volker Roelcke,
„gute Wissenschaft zu machen. Mithilfe von
wissenschaftlichem Wissen sollte der Volkkörper, der
Staat, gestärkt werden, um wettbewerbsfähig zu bleiben.“
Rüdin ist auch maßgeblich beteiligt am deutschen „Gesetz
zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, das im Juli 1933
beschlossen wird. Das Ziel: Erbkranke sollen sich nicht
mehr fortpflanzen. „Dieses Gesetz“, so heißt es etwa in
einer Wochenschau von 1934, „soll Helfer sein, das Kranke
auszumerzen. Ebenso wichtig ist es, das Gesunde und Starke
zu fördern.“
Hetzjagd auf kranke
Menschen
Das
Gesetz wirkt. Es beginnt in Deutschland eine Hetzjagd.
Hausärzte, Pfleger, Fachärzte und Hebammen sind nun
verpflichtet, sogenannte erbkranke Menschen zu melden. Am
Ende sind schätzungsweise 360 000 – 400 000 Menschen
zwangssterilisiert. Und über 6000 sterben infolge von
Komplikationen bei der Operation.
Dorothea Buck hat
überlebt. Sie wird 1936 im Alter von 19 Jahren
zwangssterilisiert. Heute ist sie 95 Jahre alt und lebt in
Hamburg. So als wäre es gestern gewesen erinnert sie sich
daran, was ihr Leben entscheidend verändern sollte. 1936
erkrankt Dorothea Buck an Schizophrenie. Ein Arzt rät
ihrer Mutter, sie in die von Bodelschwinghschen Anstalten
nach Bethel zu bringen. Dort bekommt sie die
menschenverachtenden Praktiken der damaligen Psychiatrie
zu spüren: Dauerbäder, Kaltwassergüsse und Sprechverbote.
Ihre Mutter wird vor die Wahl gestellt: Entweder die
Tochter wird zwangssterilisiert oder sie bleibt in der
Anstalt bis zum 45. Lebensjahr. Ihre Mutter stimmt
schließlich der Zwangssterilisation zu.
Einsatz für eine humane Psychiatrie
Dorothea Buck erfährt nicht, was mit ihr passiert. „Am Abend
vorher wurde die Operation vorbereitet. Ich frage die
Stationsschwester: Wozu? Und da sagte sie: Für einen kleinen
notwenigen Eingriff.“ Dorothea Buck fragt dann nicht mehr
weiter. Zuvor musste sie vor drei Männern antreten, dem
sogenannten Erbgesundheits-Gericht. Die fällten das Urteil
über sie. Ein Bild hat sich fest in ihr eingebrannt, sagt
Dorohea Buck: Noch heute sehe sie, wie die Stationsschwester
mit der Spritze über ihr gestanden hätte. Und erst viel
später hätte sie von einer Mitpatienten erfahren, was der
„nötige kleine Eingriff“ wirklich bedeutete.
1937 wird Dorothea Buck entlassen. Die Zwangssterilisation
hat ihr Leben völlig verändert, sagt sie heute rückblickend.
Sie wollte Kindergärtnerin werden, heiraten und Kinder
bekommen. Das alles war damit zunichte gemacht. Sie durfte
auch keine höheren und weiterbildenden Schulen besuchen.
Jahrzehnte lang verdrängten Patientenmorde
Dennoch gelingt es Dorothea Buck nach 1945 schrittweise,
sich aus ihrer Lebenskrise zu befreien. Sie wird
Bildhauerin, arbeitet als Kunstlehrerin in Hamburg. Sie hat
noch mehrere schizophrene Schübe, den letzten 1959, und
lernt verschiedene psychiatrische Kliniken und
Behandlungsmethoden kennen. Doch die jahrzehntelang
verdrängten Patientenmorde und die Unmenschlichkeit der
psychiatrischen Anstalten lassen sie nicht los. 1987 gründet
sie mit anderen Opfern den „Bund der Euthanasie-Geschädigten
und Zwangssterilisierten.“ Sie schreibt sich ihren ganzen
Zorn von der Seele, schreibt ein Theaterstück „Tragödie der
Euthanasie“ und veröffentlicht 1990 ihre Lebensgeschichte
„Auf der Spur des Morgensterns“.
Unermüdlich setzt sie sich für eine humane Psychiatrie ein,
wendet sich an Politiker und Kirchenvertreter. Sie sagt:
„Wenn diese Ermordung von Menschen nicht völlig umsonst
gewesen sein und wenigstens heute einen Sinn haben sollen,
dann den, dass die psychiatrisch Tätigen daraus lernen. Dass
sie nicht von ihrer eigenen Wirklichkeit, sondern von der
Wirklichkeit derer ausgehen.“
Psychiater entschuldigen sich für das Unrecht an den
Patienten
Konkret heißt das, sie möchte, dass das individuelle Erleben
des Patienten und der Sinn für ihn Grundlage für die
psychiatrische Therapie wird. An der Patienten, Angehörige
und Psychiater gleichermaßen mitwirken. Sie findet
Mitstreiter unter Betroffenen und Psychiatern. Der von ihr
geforderte gleichberechtigte Austausch findet beispielsweise
in den seit 1989 erstmals eingeführten Psychose-Seminaren
statt. Kliniken in Deutschland und der Schweiz arbeiten nach
ihren Ideen. 1996 wird ein Wohnheim für psychisch kranke
Menschen in Bottrop nach ihr benannt. Und 2008 erhält
Dorothea Buck das Bundesverdienstkreuz für ihr Lebenswerk im
Kampf um eine bessere Psychiatrie.
Frank Schneider, ehemaliger Vorsitzender der Deutschen
Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und
Nervenheilkunde (DGPPN) besucht Dorothea Buck in Hamburg. Er
erwähnt ausdrücklich ihr Engagement, als er sich 2010 im
Namen der DGPPN bei allen Opfern und Angehörigen
entschuldigt für das Leid und Unrecht das ihnen Psychiater
während des Nationalsozialismus zugefügt haben.
Wissenschaftliche Experimente mit Psychiatrie-Patienten
Die von Frank Schneider 2010 initiierte internationale
Kommission zur Aufarbeitung der Rolle der psychiatrischen
Fachgesellschaft (sie hieß damals GDNP) während des
Nationalsozialismus hat mit Hilfe der beteiligten Historiker
noch andere Fakten herausgefunden. So wurde auch an
Psychiatrie-Patienten wissenschaftlich experimentiert,
ähnlich wie an Häftlingen in Konzentrationslagern. Die
Forscher gehen aus von insgesamt ca. 20 000 Opfern
medizinischer Versuche, darunter eine erhebliche Zahl von
Psychiatrie-Patienten.
20·000 Opfern medizinischer
Versuche
Diese Menschenversuche,
sagt der Gießener Medizin-Historiker Volker Roelcke,
entsprangen aber nicht irgendwelchen sadistischen oder
kranken Gehirnen von Psychiatern oder anderen Medizinern,
die nun glaubten, alles machen zu dürfen. Ganz im Gegenteil.
„Das ist eben gerade bestürzend, dass man das nicht einfach
abtun kann als Pseudowissenschaft. Die Fragestellungen
selbst waren in der Zeit aktuell, sie wurden auf
internationalen Tagungen verhandelt.“ Und weiter meint
Roelcke. „Das Brutale und völlig Unakzeptable an dieser
Forschung ist, dass hier für vermeintlich relevante und
drängende Fragestellungen Versuchspersonen benutzt worden
sind wie Tiere. Es war keineswegs das Anliegen, die Menschen
zu quälen, wie das manchmal dargestellt wird. Damit kann man
die Täter pathologisieren, sie sind dann selbst pervers oder
psychisch krank, aber das stimmt nicht.“
Mit manchen Ergebnissen dieser Menschenversuche glänzen
deutsche Psychiater und Neuropathologen nach dem Krieg im
In- und Ausland. Doch wenige ahnen, wie die Erkenntnisse
zustande gekommen sind, sagt der Medizin-Historiker Roelcke.
„Nach 1945 ist wiederholt gesagt worden, diese Forschung ist
an Großtieren geschehen. Damit waren dann Schweine gemeint
oder Menschenaffe, so hat man versjucht, den Sachverhalt zu
verschleiern.“
Viele der Täter machen später noch
Karriere
Die
Täter von damals, die Psychiater und Ärzte, entziehen sich
nach 1945 ihrer Verantwortung. Wie auch ihr Verband, die
Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und
Nervenheilkunde (DGPPN). Jahrzehntelang schweigt die
Gesellschaft zu ihrer Rolle im NS-Staat Staat. Verschweigt
Morde und Zwangssterilisationen ihrer Vorgängerorganisation,
dem Deutschen Verein für Psychiatrie. Viele der
Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen machen nach
1945 Karrieren, auch ehemalige T4 Gutachter, einige von
ihnen werden sogar Präsidenten der DGPPN.
Die Aufarbeitung der Rolle der Psychiatrie im
Nationalsozialismus zeigt klar: Psychiater waren aktiv
beteiligt an den Grausamkeiten im Nationalsozialismus. Die
Forschungen der Historiker sollten nach dem Wunsch des
ehemaligen Präsidenten der Gesellschaft Frank Schneider
fortgesetzt werden. Untersucht werden sollte unter anderem,
welche Ärzte bei der sogenannten Euthanasie nicht mitgemacht
haben und welche Karrieren diejenigen einschlugen, die sie
vorantrieben und das Morden umsetzen. Zuvor sollte die
Forschergruppe ihre Ergebnisse präsentieren. Im Dezember
vergangenen Jahres legten sie ihre Studien vor. Der Weg
schien frei für ein Folgeprojekt.
Probleme, sich der
eigenen Vergangenheit zu stellen
Doch die Gesellschaft
zögert nun. Der neue Präsident der DGPPN, Wolfgang Meier
erklärte auf Anfrage, die bisherigen Ergebnisse müssten
erst noch zusammengetragen und ausgewertet werden. Erst
dann könne ein Konzept für einen Folgeauftrag erarbeitet
werden. „Wir gehen davon aus, dass dieses Konzept im Laufe
des Jahres erarbeitet werden kann. Besonderes Augenmerk
sollte dabei auf den Geschichtsverlauf in der BRD und der
DDR gelegt werden“, schreibt Meier in einer E-Mail.
Den Medizinhistoriker und Vorsitzenden der „Kommission zur
Aufarbeitung der Geschichte der DGPPN“, Volker Roelcke,
überrascht diese Antwort des neuen Präsidenten. Zusammen
mit Hans-Walter Schmuhl habe er schon längst dem Vorstand
und dem Beirat der DGPPN ein Konzept für ein Folgeprojekt
vorgelegt. Roelcke hat für sich eine erste Konsequenz
gezogen: Er wird nicht mehr als Vorsitzender der
Kommission fungieren.
Es scheint so, als würde
die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie
und Nervenheilkunde noch weitere Zeit brauchen, um sich
ihrer ganzen Vergangenheit zu stellen.
Quelle: Focus,
24.03.2013
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